Anfangs Februar 1998 liess ich bei meinem Hausarzt meine mir unerklärbare Müdigkeit und einer seit 20 Jahren bestehenden durch Kälte induzierte Raynaud-Symptomatik, abklären.
Zur weiteren Abklärung meldete mich mein Hausarzt für den 10. Februar 1998 im Unispital Basel für eine Knochenmarkuntersuchung an. Am 24. Februar 1998 dann die Diagnose „Multiples Myelom IgG kappa, Stadium IA“ (Typ smouldering myeloma).
Wie ich heute weiss, ging es mir damals wie vielen MM-Patienten. Multiples Myelom, noch nie davon gehört, was heisst das nun für mich. Der Hämatologe erklärte mir, dass es eine Krebserkrankung des Knochenmarks ist. Auf meine Frage, wie lange ich noch zu Leben habe, antwortete er mir – bei Erstdiagnose 3 – 5 Monate, doch in ihrem Fall können sie noch gut und gern 20 Jahre ohne Behandlung leben.
Diese Information war erst einmal ein Schock, den ich verdauen musste, nur die 3-5 Monate sind hängen geblieben. Erst später habe ich realisiert, was der Arzt noch gesagt hatte, nämlich, dass ich in meinem Fall noch gut 20 Jahre unbehandelt leben kann.
Ich verstand die Welt nicht mehr, ich hatte keine Schmerzen und war ausser der Müdigkeit fit, spielte Tennis, fuhr Ski und machte zweimal in der Woche Krafttraining und wir tanzten wann immer es eine Gelegenheit gab. Auch gingen wir oft mehrere Stunden wandern. Soll mein Leben nun schon zu Ende sein? Ich war gerade mal 55 Jahre und stand noch mitten im Berufsleben. Ueli und ich hatten doch noch so viele Pläne. All dies ging mir durch den Kopf. Wut und Angst, ein Wechselbad der Gefühle.
Als ich am Abend Ueli mitteilte, dass ich Krebs habe, wollte er es nicht glauben. Vor allem verstand er nicht, warum keine Behandlung gemacht wurde. Erst ein gemeinsames Gespräch bei unserem Hausarzt brachte auch für ihn Klarheit.
Doch bald schon hatte ich gelernt, meine Krankheit anzunehmen und dank meiner positiven Lebenseinstellung konnte ich gut damit umgehen. Die Frage warum ich, habe ich mir nie gestellt. Meine Devise hiess; Ich lebe mit dem Myelom, das Myelom ist nicht mein Leben. Doch nichts desto trotz hing die Krankheit wie ein Damoklesschwert über uns. Bei jeder Kontrolle erwarteten wir die Resultate mit Spannung, denn es gab keine Erfahrungszahlen, wann ein Smoldering in ein aktives Plasmazell-Myelom übergeht.
Anfangs 1999 fand ich in der BAZ einen Artikel von Henk Mittendorf über eine Patienten-veranstaltung der IMF (International Myeloma Foundation). An diesem Anlass wurden die MM-Selbsthilfegruppen St. Gallen und Zürich ins Leben gerufen. Ich kontaktierte Henk Mittendorf um von ihm mehr über das Myelom zu erfahren. Das Erste was er sagte war, du wohnst in Basel, super dann kannst du gleich eine SH-Gruppe gründen. Das war eigentlich nicht das, was ich hören wollte oder mir vorgestellt hatte.
Da es mir jedoch weiterhin gut ging, war ich bereit, mich mit Henk Mittendorf, Franz Mosimann und Richi Maier, alles Myelom-Patienten, zusammen zu sitzen. Damit wir die Gruppen nach aussen besser vertreten konnten, beschlossen wir Ende November 1999 einen Verein als Dachorganisation zu gründen. Mittlerweilen gibt es sechs Gruppen in der deutschen Schweiz und zwei in der Romandie.
Ich suchte Kontakt mit anderen Betroffenen. So besuchten wir im April 2000 eine Patientenveranstaltung in Wien. Während der Veranstaltung realisierte ich, das es den meisten Betroffenen wesentlich schlechter ging als mir, das war die Motivation, dass ich mich für Myelom-Patienten engagieren wollte und ich begann mir über die Gründung einer SH-Gruppe in Basel Gedanken zu machen. Da ich meine Krankengeschichte bei mir hatte, ergriff ich auch die Gelegenheit um eine Zweitmeinung ein zu holen. Ich erhielt die Bestätigung des kontaktierten Arztes, dass er mit dem Vorgehen der Kollegen in Basel -Watch and Wait- übereinstimme.
Im Juli 2000 nahm ich mit Herrn Ruesch von der Krebsliga beider Basel zwecks Gründung einer MM-Gruppe Kontakt auf. Bald darauf teilte er mir mit, dass wir einen Raum für die monatlichen Treffen zur Verfügung gestellt bekommen. Das erste Gruppentreffen fand bereits am 16.Oktober 2000 statt.
2001 organisierte Henk Mittendorf das erste Patientensymposium der Myelom Kontakt-gruppe Schweiz in Wil, mit Referenten aus dem In- und Ausland. Es war ein schöner Erfolg nahmen doch damals schon 80 Patienten und Angehörige daran teil. Da die Resonanz so gut war, beschlossen wir, alle zwei Jahre ein Symposium durch zu führen.
Bald entstand auch unsere eigene Website, die intensiv besucht wird. Als ich im Jahr 2005 das Präsidium der MKgS übernahm, kam mir die Idee ein Bulletin mit diversen Berichten und Informationen heraus zu geben.
Leider mussten wir uns von den Mitgründer der MKgS Henk Mittendorf, Richi Maier und Franz Mosimann verabschieden.
Seit 13 Jahren leite ich nun als Präsidentin die Geschicke der Myelom Kontaktgruppe Schweiz. Heute weiss ich, dass ich dank meinem langsamen Krankheitsverlauf sowohl die Motivation als auch die Energie hatte und auch dank der grossen Unterstützung von meinem Mann Ueli, dass ich die mir sehr am Herzen liegenden Arbeiten bewältigen konnte.
Seit Mitte 2016 hatte ich wieder die gleiche Müdigkeit (Fatigue) wie 1998. Ich kontaktierte Anfangs Juli 2016 meine Hämatologin für eine vorgezogene Kontrolle. Es wurde eine bildgebende Diagnostik durchgeführt. Nach allen Kontrollen wurde keine Progression des Smoldering Myeloms festgestellt. Es gab einen leichten Anstieg des Paraproteins und den freien Leichtketten und die Entwicklung einer leichten Anämie.
Um nichts zu verpassen, wurde Ende 2016 erneut eine bildgebende Diagnostik sowie eine Knochenmarkpunktion durchgeführt. Leider zeigte die Knochenmarkinfiltration ein Kappa-klonales Plasmazell Myelom von 80% (1998 = 10%) mit ungünstiger Zytogenetik. Das heisst, es bestand aktuell ohne Zweifel eine Therapie-Indikation.
Im persönlichen Gespräch vom 27. Februar 2017 mit Prof. Passweg, Frau Dr. Schwarb, Frau Dr. Stern und meinem Mann, empfahl mir Prof. Passweg eine Induktionschemotherapie mit drei Zyklen VRD, gefolgt von einer Stammzellmobilisation, Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan sowie anschliessender autologer Stammzell-Transplantation. Ich hatte Bedenken bezüglich der Aggressivität der Therapie angesichts meines Alters.
Ich hatte mir einige Tage Bedenkzeit genommen und das Für und Wider mit meinem Mann besprochen. Nach reiflicher Überlegung hatten wir uns für diesen Weg entschieden, denn die Chancen eine gute Remission zu erreichen, waren eindeutig besser.
Nach 3 Zyklen VRD wurde eine Knochenmarkpunktion gemacht. Diese zeigte eine partielle Response.
Am 4. Juni musste ich notfallmässig ins Unispital. Ich konnte nicht mehr gehen und hatte starke Schmerzen in den Füssen und Unterschenkel. Neuropathie lässt grüssen. Ich wurde auf die Station verlegt und mit Schmerzmitteln behandelt. Bei den diversen Untersuchungen wurde am 6. Juni 2017 auch noch eine Nebenniereninsuffizienz festgestellt, die bis auf weiteres mit Hydrocortison behandelt werden muss. Da ich den Termin für die SZT wusste, wollte ich unbedingt dazwischen noch eine Woche nach Hause.
Am 30. Juni 2017 fand dann die autologe SZT statt. Bis dahin ging es mir mit Ausnahme der PNP, die mir das Gehen sehr erschwerte, gut.
Es wurde ein PICC-Line Katheter implantiert der leider nach einer Thrombose wieder entfernt werden musste. Danach erhielt ich einen ZVK am Hals. Während der Regenerationsphase kam es zu schweren Komplikationen wie Mukositis, hohes Fieber in der Aplasie und ein Refeeding Syndrom (Mangelversorgung). Essen war unmöglich, alle Medikamente mussten mir intravenös verabreicht werden. Sogar die Ärzte waren überrascht, dass ich so heftig reagierte. Es waren fünf harte Wochen, fortbewegen war nur im Rollstuhl möglich. In dieser Zeit nahm ich zwölf Kilo ab. Das Pflegepersonal war einfach super. An jedem noch so kleinen Fortschritt nahmen sie teil. Ihre liebevolle und kompetente Betreuung hatte mir sehr geholfen.
Ich hatte immer kleine Ziele. Eines davon war, dass ich anschliessend in die Reha Rheinfelden wollte und das konnte ich nur erreichen, wenn ich essen und die Medikamente selber schlucken konnte. Das nächste Ziel war unser geplanter Urlaub Ende August im Tirol.
Am 28. Juli 2017 war es soweit dass ich in die Reha Rheinfelden verlegt werden konnte. Auch hier setzte ich mir wieder kleine Ziele. Die ersten Tage musste ich im Rollstuhl zu den Therapien gebracht werden. Nach einer Woche Physio und medizinischem Krafttraining konnte ich bereits den Rollator benutzen und ein paar Tage später ging ich allein zu den Therapien.
Da meine Blutwerte nicht anstiegen, musste ich zweimal ins Unispital Basel. Es wurde eine Neutropenie an der Grenze zur Aplasie mit Thrombopenie festgestellt. Ich bekam Neupogen zur Aktivierung, was leider erfolglos blieb. Am 15. August 2017 konnte ich die Reha, wie ich es mir vorgenommen hatte, verlassen und durfte endlich nach neun Wochen wieder nach Hause. Es war sowohl für mich als auch für Ueli eine sehr emotionale Situation. Überhaupt war ich dünnhäutiger geworden und die Tränen sassen locker.
Am nächsten Tag war ich wieder im Unispital Basel für eine Knochenmarkpunktion und Blutkontrolle.
Noch immer kein Anstieg der Blutwerte. Mein Knochenmark war leer. Ich erhielt Blut-plättchen zur Unterstützung. Unser geplanter sehnlichst gewünschter Urlaub ins Tirol mussten wir leider absagen. Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Bei der Kontrolle am 4.September 2017 zeigte sich endlich ein Anstieg der Werte, was für eine gute Mitteilung.
Etwas das ich nie verloren hatte, war meine positive Einstellung und das Vertrauen in meinen Körper. Ich brauchte einfach mehr Zeit und Geduld. Doch bald konnte ich das Wort „Geduld“ nicht mehr hören.
Was ich sehr vermisste, war mein Krafttraining. Anfangs September erhielt ich endlich die Erlaubnis wieder damit zu beginnen. Was für ein gutes Gefühl. Dann der erste Tanz mit Ueli, trotz PNP ein Highlight.
Heute 28.9.2017 habe ich die gute Nachricht erhalten, dass unserem Urlaub nichts mehr im Wege steht. Ich wünsche allen MM-Betroffenen und Ihren Angehörigen dass auch Sie irgendwann eine positive Nachricht erhalten mögen.
Hier möchte ich meinen Bericht schliessen doch nicht ohne all den Menschen zu danken, die mich während der nicht ganz einfachen Zeit immer unterstützt haben. Allen voran meinem Ueli. Er hat mich während der schweren Phase immer wieder motiviert durch zu halten. Ich weiss aus meiner MM-Arbeit wie schwer es für die Angehörigen ist, diese Situation aus zu halten. Mein Dank geht auch an meine Familie, Freunde und Bekannte sowie Frau Dr. Stern, sie hat immer an mich geglaubt und motiviert und Herr Dr. Arranto, er war mein Schutzengel während der Aplasie.