Allgemeines zur Therapie

Sich für eine Therapie zu entschliessen, ist am Anfang die wichtigste Entscheidung. Wie bereits hervorgehoben, sind für diese Entscheidung die Untersuchungen zum Diagnosezeitpunkt, die Stadieneinteilung und die prognostische Klassifikation essentiell. Eine Therapie wird für eine aktive oder symptomatische Erkrankung empfohlen. Die Eile, mit der die Therapie begonnen werden muss, hängt von den genauen und individuellen Problemen des einzelnen Patienten ab. Es kann aber auch sein, dass die Krankheit so wenig ausgeprägt ist, dass am Anfang gar keine Therapie gemacht werden muss und dass eine regelmässige Beobachtung der Krankheit die beste Wahl sein kann.

Ziele der Myelombehandlung

Art der Behandlung Ziel Beispiel Zeit zum Entscheiden
Supportive Therapien Lebensbedrohlichen chemischen Stoffwechselveränderungen des Körpers und Immunsystems entgegen zu wirken.
  • Plasmapherese, um das Blut zu verdünnen und einen Schlaganfall zu verhindern
  • Hämodialyse, wenn die Nierenfunktion geschädigt ist
  • Medikamente, um eine Hyperkalzämie zu reduzieren (dazu kann eine Chemotherapie gehören)
Stunden bis Tage
Palliation Beschwerden lindern und körperliche Funktionen des Patienten bessern
  • Bestrahlung, um die Knochenzerstörung aufzuhalten
  • Erythropoetin, um eine Blutarmut zu verbessern
  • Orthopädische Chirurgie, um Knochen zu reparieren oder zu stärken
Tage bis Monate
Remissionsinduktion Symptome verhindern oder die Erkrankung verlangsamen bezw. aufhalten
  • Chemotherapie, um bösartige Zellen im gesamten Körper zu zerstören
  • Strahlentherapie, um bösartige Zellen an einer bestimmten Stelle zu zerstören
Wochen bis Monate
Kurative Therapie Permanente Remission*
  • Knochenmarktransplantation, um eine Hochdosischemotherapie verabreichen zu können
Wochen bis Monate
Konsolidationstherapie
  • Konsolidation wird die Chemotherapie genannt wenn es darum geht, das einmal erreichte Ziel zu befestigen und das erneute Auftreten der Krankheit hinauszuzögern
Erhaltungstherapie
  • Erhaltungstherapie ist eine wenig belastende Behandlung mit dem Ziel, das Wiederauftreten der Krankheit hinauszuzögern. Diese kann über viele Monate durchgeführt werden

* Obwohl das Erreichen einer permanenten Remission bis dato nicht in wissenschaftlich bestätigter Form gelang, bleibt es das Ziel vieler experimenteller Behandlungen.

Es muss betont werden, dass das Multiple Myelom, obwohl es sich um eine ernste Erkrankung handelt, heute oftmals erfolgreich behandelt werden kann. Fast alle Patienten sprechen zunächst gut auf eine Behandlung an, und selbst bei Patienten mit mehrfachem Krankheitsrückfall können Behandlungserfolge erzielt werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Patienten mit neu diagnostiziertem Multiplem Myelom liegt bei 5 Jahren. Mit den neuen Therapien ist aber eine weitere Verbesserung in der Lebenserwartung wahrscheinlich.

Grundsätzlich führen die verschiedenen Therapieansätze zu vorübergehenden Remissionen (Tumorrückbildung), und nach einer (zum Teil jahrelangen) Plateauphase zum Fortschreiten der Krankheit und einer neuen Therapie. Der Verlauf der Erkrankung kann durch Chemotherapie verlangsamt werden. Gleichzeitig wirkt die Chemotherapie möglichen Komplikationen (Niereninsuffizienz, Hyperviskositätssyndrom, Infekten, Knochenfrakturen) entgegen.

Nach der Diagnose des Multiplen Myeloms muss zunächst festgestellt werden, ob eine Therapie zum gegebenen Zeitpunkt notwendig ist. Eine optimale Behandlung erfordert die enge Zusammenarbeit von Hämato-Onkologen, Orthopäden, Nephrologen und Strahlentherapeuten. Die therapeutische Strategie richtet sich im wesentlichen nach folgenden Parametern:

  • dem Stadium der Erkrankung
  • dem Alter des Patienten
  • dem Allgemeinzustand des Patienten (Schmerzen, Symptome)
  • dem Therapiewunsch des Patienten
  • den Prognostischen Kriterien

Grundsätzlich gilt, dass für Patienten mit smoldering (schwelendem) Myelom und Multiplem Myelom im Stadium I keine Indikation für eine Chemotherapie besteht. Bei engmaschiger Beobachtung und Nachweis von Knochenabbau ist die frühzeitige Gabe von Bisphosphonaten ratsam, welche möglicherweise einen positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben und Knochenkomplikationen (Frakturen, Knochenschmerz) verringern können.

Eine aktive Behandlung wird empfohlen, wenn es zu einem Anstieg des M-Proteins oder zu klinischen Symptomen (Knochenabbau, Nierenversagen, Blutbildveränderungen, erhöhter Serumkalziumwert, Organ- oder Gewebeschäden, gehäuften Infektionen) kommt. Bei Patienten im Stadium II und Stadium III soll in jedem Fall eine Therapie begonnen werden. Das Behandlungsziel ist immer, die Myelomsymptomatik zu verbessern (Knochenschmerzen, Anämie, eingeschränkte Nierenfunktion, erhöhtes Serumkalzium), das M-Protein zu senken (d.h. eine maximale Remission zu erreichen) und so die Erkrankung zu kontrollieren.

Mögliche Therapieverfahren

Die Behandlung mit Zytostatika kann entweder im Rahmen einer herkömmlichen (konventionellen) Chemotherapie erfolgen oder auch als Hochdosis-Chemotherapie (HDT) mit Stammzelltransplantation (SZT). Die Entscheidung, ob herkömmlich oder hochdosiert chemotherapiert wird, muss frühzeitig getroffen werden, da nach einer konventionellen Chemotherapie – insbesondere mit Melphalan oder Nitrosoharnstoffen – nicht mehr ausreichend Stammzellen zur Transplantation zur Verfügung stehen.
Für Patienten unter 70 Jahren ohne zusätzliche schwerwiegende Organschädigungen gilt heute primär die Chemotherapie, gefolgt von einer Hochdosistherapie mit autologer Stammzelltransplantation als Methode der Wahl.

Für die Behandlung des Multiplen Myeloms gibt es eine Reihe wirksamer Substanzen, z.B.:

Substanzklasse Verbindungen
Alkylanzien Melphalan
Carmustin
Cyclophosphamid
Anthrazykline Doxorubicin oder Idarubicin als Kombinationstherapie
Alkaloide Vincristin, Vinorelbin (im VAD* oder VID-Schema)
Glukokortikosteroide Prednison, Dexamethason
Thalidomide und Derivate Thalidomid, Lenalidomid, Pomalidomid
Humaner monoklonaler IgG1k Antikörper Daratumumab
Proteasom-Inhibitor Bortezomib, Carfilzomib, Ixazomib
Zytokine ggf. Interferon als Erhaltungstherapie

 

Übersicht über mögliche Therapieschemata:

Stadium I oder II ohne Progress II mit Progress oder III II mit Progress oder III II mit Progress oder III
Alter Alle Altersgruppen < 50 Jahre < 65-70 Jahre > 70 Jahre
Allgemeinzustand Geeignet für HDT Geeignet für HDT Nicht geeignet für HDT
Primärbehandlung Keine zytostatische Therapie Velcade / Dex
Thal / Dex
Velcade / Dex
Thal / Dex
Melphalan / Dex
Hochdosistherapie HDT und familiäre allogene SZT** HDT und autologe SZT Thalidomid (MPT)
Erhaltungstherapie Thalidomid
Supportiv bei Osteolysen oder Osteoporose Bisphosphonate Bisphosphonate Bisphosphonate Bisphosphonat

VAD sollte nicht mehr als Erstlinientherapie verwendet werden (schlechtes Ansprechen, mehr Nebenwirkungen) *

* Vincristin-Adriamycin® (Doxorubicin)-Dexamethason
** Die allogene Stammzelltransplantation nach reduzierter Konditionierung wird bis zum 65. Lebensjahr in Studien geprüft.
HDT Hochdosistherapie und autologe Stammzelltransplantation
SZT Stammzelltransplantation

 

Beurteilung des Therapieerfolgs

Der Therapieerfolg wird am Rückgang des M-Proteins im Serum und Urin, an der Normalisierung einer vorbestehenden Anämie und Hypalbuminämie sowie anhand der Osteolysen gemessen. In aktuellen Studien werden die Ansprechraten nach den EBMT-Kriterien (European Group for Blood and Bone Marrow Transplantation) bewertet:

  • stringente CR: komplette Remission in allen Kriterien, einschliesslich Immunfixation und Knochenmarksbefall
  • CR- = complete remission (komplette Remission). Gekennzeichnet durch negative Immunfixation, keine Gewebemanifestation, normales Serumkalzium, stabilen Skelettstatus, <5% Plasmazellen im Knochenmark (2 Untersuchungen im Abstand von 6 Wochen)
  • CR+ = complete remission (nahezu komplette Remission). Gekennzeichnet durch positive Immunfixation, kein M-Protein nachweisbar in Elektrophorese, normales Serumkalzium, stabilen Skelettstatus
  • PR und MR = partial/minimal remission (partiale/minimale Remission). Je nach Anteil des M-Proteins definiert
  • SD = stable disease (Krankheitsstabilisierung). Keine Veränderung des M-Proteins
  • Progress (Fortschreiten der Erkrankung)

Kontrolluntersuchungen

Nach einer Therapie werden Blutwerte regelmässig (zunächst ca. alle 4 Wochen) kontrolliert. Bei stabilem Verlauf können die Intervalle verlängert werden.

  • Bestimmung der Myelomproteine (M-Proteine) im Serum und/oder Urin
  • Kreatinin, Harnstoff und Gesamteiweiss
  • Hämoglobin und Serumkalzium

Alle 6-12 Monate ist eine Knochenmarkdiagnostik erforderlich. Bei symptomatischem Antikörpermangel werden Infekte mit Antibiotika und ggf. Immunglobulinsubstitution behandelt.

Die freien Leichtketten entstehen, wenn Paraprotein = Immunglobuline unvollständig von den Myelomzellen zusammengebaut werden. Bei gut differenzierten Myelomkrankheiten entstehen nur intakte Immunglobuline und keine freien Leichtketten. Die freien Leichtketten eignen sich besonders für die Verlaufsbeurteilung, da sie sehr rasch abgebaut werden, d.h. bei erfolgreicher Behandlung sinken sie schnell, bei Fortschreiten der Krankheit steigen sie rasch an.

Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, so ist es der Glaube an die eigene Kraft.
Marie von Ebner-Eschenbach