Carpe Diem

Schon die alten Römer sagten, wir sollen den Tag «pflücken», geniessen und etliche Philosophen haben tausende von Seiten zum Thema «Leben» geschrieben.

In unserer westlichen Gesellschaft wird der Gedanke an den Tod möglichst verdrängt. Wenn wir dann damit konfrontiert werden, stehen wir ihm meistens ziemlich hilflos und verängstigt gegenüber. Dabei ist das Leben eigentlich nur einen Abschnitt zwischen zwei grossen Unbekannten: «vorher» und «nachher». Es gibt sogar Kulturen, da sind die Menschen traurig bei einer Geburt, wenn wieder eine arme Seele durch dieses Leben muss, und fröhlich, wenn es zu Ende gegangen ist.

Weder ein hundertjähriger noch eine zwölf Stunden alte Eintagsfliege verschwenden Gedanken an den Tod. Nur der Mensch ist fähig zu solchen Überlegungen. Wir sollten daher den Prozess «werden-sein-vergehen» als ganz natürlichen Vorgang betrachten, der weder gut noch böse ist.

Wenn wir selbst, oder ein uns naher stehender Mensch, von einer lebensbedrohenden Krankheit befallen wird, wird uns die Endlichkeit des Lebens schlagartig bewusst. Trotzdem können wir in dieser Situation eine Chance entdecken: im Gegensatz zu Menschen, die durch Unfall, Mord oder Krieg umkommen, haben wir immer noch Gelegenheit «unser Haus in Ordnung zu bringen» und uns mit Würde zu verabschieden, bevor wir endgültig gehen müssen. Viele Menschen erleben diese Zeit viel intensiver, als ihre bisherigen Lebensjahre. Ich betrachte das auch als ein Privileg. So gesehen sind Krankheit und Tod keine nur negative Erlebnisse.

Wenn es dann aber so weit ist, dass wir – wie alle Lebewesen – gehen müssen oder dürfen, wird uns die Krankheit nicht folgen können: es ist, wie wenn sich unsere Seele, um geheilt zu werden, vom kranken Körper trennen muss. Dann aber werden wir nie mehr mit bangem Herzen die Resultate der Untersuchungen abwarten müssen; wir werden nie mehr von der Krankenschwester mit Infusionsnadeln verstochen und keine Chemo oder Bestrahlung belastet uns mehr mit ihren Nebenwirkungen. Für einen Krebspatienten tönt das doch fast paradiesisch… Aus diesen Blickwinkel betrachtet hat der Tod auch seine gute Seiten und verliert von seinen Schrecken, so diese dann noch da waren.

Jeder Mensch ist einzigartig, wie jede Blume auch. Diese Einzigartigkeit liegt aber in erster Linie darin begründet, dass nichts im Leben unendlich ist. Wir wollen und sollen an unseren Taten gemessen werden, jetzt und später. Aus diesem Grunde sagen die Odd Fellows – eine geistig-soziale humanitäre Vereinigung – wir sollen wirken, so lange es Tag ist. Und oft genug wird das Leben länger dauern, als wir meinen!

Zurück